Sei eine Mutter!

Sei eine Mutter!
Wisse alles, könne alles, reiße Dich auseinander und reiße Dich zusammen!

Neulich beim Schwimmunterricht für meine Tochter: Ich war das erste mal dort, den anderen Termin hatte der weltbeste Ex-Mann wahrgenommen. Um mich herum nur Frauen. Im Tal der Ahnungslosen fragte ich ständig “Wo ist dies?” und “Wo ist das?” und wurde mitleidig angeschaut und: Ignoriert. Richtig, ich bekam keine Antwort. Natürlich hatte man meine Frage gehört – die Frauen schauten in meine Richtung, und keine antwortete.

Da begreift man, dass Unwissen und “sich nicht kümmern müssen” ein Privileg für Männer ist. Denn jeder Mann wäre dort gefeiert worden, der sich so liebevoll um sein Kind kümmert. Als Mutter ist das scheinbar ein Pflichtprogramm, und als gute, perfekte Mutter muss ich zudem allwissend sein.
Der deutsche und angelsächsische Muttermythos ist ohnehin richtig krass, frau nehme Mutter Maria als Beispiel. Sie gebärt als Jungfrau, hält ihren toten Sohn im Arm bis er auferstanden ist, währenddessen der Erzeuger? Gott lässt sich nicht blicken. Das ist unser Maßstab. Der Maßstab für Männer ist somit auch klar: Wenn er öfter auftaucht als Gott, also überhaupt jemals, dann ist es schon der perfekte Vater.

Und ich glaube, der Grund warum es immer noch keinen #carestreik gibt, ist die Tatsache, dass wir Frauen wissen, dass die internalisierte Misogynie so tief in den Frauen drin steckt, und so fest verankert ist, dass wir untereinander niemals solidarisch wären, denn es würde stets eine Frau oder mehrere versuchen, sich einen Vorteil zu verschaffen.

Während uns Mutterschaft psychisch und physisch alles abverlangt (laut Studien dauert das Postpartum sieben!!!! Jahre!!!!), schaffen wir es also nicht, dieses Muttermythos zu entkräften. Warum? Es ist ein System, das sich immer wieder selbst bestätigt. Es erlaubt dem (weißen) Feminismus, neue Bücher zu schreiben, wo man darüber jammert; es erlaubt mir, diese Kolumne zu schreiben, die gepfeffert ist, aber vermutlich nur bei Nicht-Müttern Zuspruch finden wird; es bleibt demnach alles in der Logik des Kapitalismus/Patriarchats, wo frau sich Luft machen kann, aber dann weiter macht.

Und was soll ich sagen: Ich gehe heute zum Schwimmen!
Und ich erwäge gerade ein Büro-Outfit anzulegen, denn ich weiß dass frau mir dann anders gegenüber tritt, fast so, als wäre ich ein Mann, denn ich bin dann ja eine berufstätige Mutter, also fast ein Mann.
Lächerlich? Ich wette, frau wird mir anders entgegentreten. Let’s try.

EDIT: Tatsächlich wurde ich anders angeguckt, automatisch zurückgegrüßt, sowas – und eine etwas pissige Nachfrage meinerseits wurde extrem höflich beantwortet. Kleider machen Leute!


Gefallen Dir die Texte?

Hier ist die Lippenstiftkasse:
P A Y P A L ❤️ M E

Die Scham als Marketinginstrument

“Weil ich es mir wert bin.”

Damit verkauft man alles. Immer mit Angst: Wirst Du XY sein/erreichen, wenn Du nicht XY hast/kaufst/bist?? und natürlich mit der großartigen, leisen kleinen Peitsche der letzten Jahrtausende, der Kirche, des Patriarchats, des Wirtschaftssystems, der Scham. Bist Du Dir XY nicht wert?! Schäm Dich!

Beschämt werden fürs nicht gut genug sein, für nicht “mehr wollen”, für deine Wünsche, für dein Dasein, für dein Tun, für dein Äußeres, für dein Inneres:
Sag mir, dass Du eine Frau bist, ohne mir zu sagen, dass Du eine Frau bist.

Viele Dinge, die ich von Frauen gelesen habe, die älter sind als ich, und viele Dinge die ich lese von Frauen, die ganz anders leben als ich, drehen sich um Schamlosigkeit*.
Schamlosigkeit ist das einzige Instrument, das ich bezeugen kann, immer und in allen Situationen zu funktionieren. Gerade für uns Frauen! Und doch sind wir genau damit aufgewachsen, beschämt zu werden. Für Beinbehaarung, für zu lautes Sprechen, für den Partner, für existentielle Bedürfnisse “Willst Du das wirklich noch alles essen?” Die Schamlosen unter uns hingegen machen es richtig und haben es gut. Natürlich darf Schamlosigkeit nicht zum Mobbing werden (tut es leider aber oft), und das Ausbeuten anderer Personen durch die inhärente Schamlosigkeit des Kapitalismus ist auch nicht schön. Das ist dann der sehr schmale Grat zur Dreistigkeit und wird von der Sorte Mensch verwendet, die man genuin als Arschloch oder Psychopath*in bezeichnet. Stets lächelnd und freundlich laufen diese Personen häufig unerkannt in unserem Umfeld unterwegs. Und häufig sagt man über diese Leute “Ich kann es kaum glauben, dass…”, weil aufgrund unserer Moralvorstellungen und auch anerzogenen Scham manche Geschehnisse außerhalb unseren Horizontes bleiben.
Deshalb – eine Abgrenzung für den Begriff der Schamlosigkeit ist notwendig. Weiterlesen…