Die Scham, die Wut und die Zerstörung

EDITED 21.03.2022
Wenn ich mir diese Wörter anschaue und mir dazu Gesichter vorstelle, sind sie alle weiblich… und die Begriffe hängen auf den ersten Blick nicht zusammen. Es sind jedoch Dinge, die Frauen be-treffen, und es sind auch Bilder bzw. Symbole von Frauen, die unser kulturelles Verständnis bis heute prägen.
In meiner Vorstellung sind die Gesichter der Frauen außerdem auch geschminkt, weil die heutige Vorstellung und Sehgewohnheit von etwas weiblich konnotiertem auch eine von der Gesellschaft und Medien “gemachte” ist. Ein Teil dieser Symbolik kommt allerdings aus der Antike, wobei es dort auch schon Schminke gab und die Statuen Farbe hatten.

Und wie treffend es ist, dass die deutsche Sprache diese Wörter im Femininum hat! Ein Schelm, der Böses…
Gehen wir den Begriffen, dem großen Zusammenhang auf dem Grund und natürlich gibt es eine Grätsche zum roten Lippenstift.
Triggerwarnung: Gewalt gegen Frauen.

Smybolbild Reinheit und Scham/Beschämung.

Die Scham, die Wut und die Zerstörung sind in der römischen Mythologie die Erinnyen, drei weibliche Göttinen.

KORREKTUR: Die erste der Furien ist Alekto und ist dafür zuständig, Konflikte zu säen und ihre Feinde unerbittlich zu verfolgen. Sie ist nicht die Scham!! Daher muss man die Scham zumindest mythologisch von den Erinyen trennen.

Die Erinyen sind einer der historischen Gründe dafür, wie wir uns hysterische Furien vorstellen – beide Begriffe Schimpfwörter für Frauen, die sehr traurige Hintergründe haben: Die Hysterie als psychopathologisierung körperlicher, nicht bekannter oder unverstandener Gebrechen und die Furien als der römischen Mythologie entlehnten, alles zerstörende weiblichen(sic!) Göttinen Alekto, Meghara und Tisiphone, insbesondere letztere, die Vergeltung (hier ein bisschen mehr dazu https://www.hellenicaworld.com/Greece/Mythology/de/Erinyen.html.
Zerstörung als weiblich zu konnotieren ist komplett misogyn, denn Weiblichkeit wird bestenfalls als Vorwand für Zerstörung genommen und die Weiblichkeit wird damit auch aus genau diesem Grund beschämt: Schau, Du Weib, Du bist *hier irgendetwas schlechtes einfügen, was zumindest Männern™ schlecht bekommt*, schäme Dich – und Deinetwegen (Echt jetzt?!) müssen wir die Welt in Schutt und Asche legen!
Die Zerstörung ist zwar männlich, aber die Frau trägt trotzdem die Schuld, ist das nicht toll?? So wird die Beschämung integriert, denn Wut und Zerstörung sind als weiblich gelesene Attribute sehr negativ konnotiert.

Warum Frauen™, also die eine Hälfte der Bevölkerung, so leidenschaftlich gehasst, bekämpft und eingeschränkt wird, ob es abgetriebene weibliche Föten sind, genitale Verstümmelung bis hin zu Ehrenmorden, also tatsächlich auch getötet werden, ist nicht nachvollziehbar. Alle Gründe, die man hierfür anführte, ob es Patriarchat, Religion oder Ökonomie ist, bleiben ein schlechtes Feigenblatt für etwas, was nicht nachvollziehbar und zutiefst unmenschlich ist: Den Wunsch, Frauen Teilhabe zu verwehren, jeodch in Wirklichkeit: Frauen zu töten. Die Täter-Opfer Umkehr funktioniert übrigens auch hier: Die Entmenschlichung der Frau führt zur Legitimierung aller vorab genannten Taten.

Die Scham im Sinne von Beschämung aufgrund von “Hysterie”; die Wut als unmessbare (oh! problematisch!) Emotion! (oh!! Emotionen sind was weibisches, Doppel-Bäh!), und die Zerstörung, die gar nicht durch Frauen stattfindet, wie kommt es, dass diese Dinge, die zur Unterdrückung aller Menschen dienen, sowohl als Instrumente als auch Begriffe genuin zur Unterdrückung der Frauen eingesetzt werden? Sind Frauen™ aufgrund ihres Potentials Leben zu erschaffen eine unkontrollierbare Gefahr?

…gegen was kämpfen Frauen an, sozusagen schon ab der genetischen Festlegung des wahrscheinlichen Geschlechts, schon im Uterus quasi, und warum?
Sind “Männer”™ Schuld?
Das System?
Ist es Augustin, der seinen ödipalen Komplex in die christliche Religion gegossen hat? Seit wann sind in der Geschichte Dinge wie Krieg, Blut, und Zerstörung “mannhaft”?
Was war davor, gab es mal einen Gegenentwurf?
Wie konnte die Zivilisation fortschreiten, Industrialisierung, Mechanisierung und what not und dabei die ethische und moralische Usurpation einer gleichberechtigten (ich meine eigentlich einer gleichermaßen aufgeteilten Sache, mir fällt gerade kein gutes Wort dafür ein) Macht bzw. Führung zulassen?

2023 betteln Frauen in Deutschland in Ministerien um Quote und um Geld für ihre Kinder, woanders um ihr Leben, denn sie sind trotz ihrer Existenz offensichtlich keine legitime Gruppe. Ich übertreibe, könnte man meinen, wir haben doch schon längst Gleichberechtigung (LOL) aber als ich meiner Tochter, einem Kindergartenkind, erklären musste, dass woanders Mädchen nicht zur Schule gehen dürfen, nicht Ärztin werden dürfen aber nur zu weiblichen Ärztinnen dürften, also in der Schlußfolgerung NICHT mehr zum Arzt(sic!) dürfen und sterben werden, ein langwährendes Femizid eben – dann war das nicht so weit weg.

Lustigerweise wurde mir bei dieser Erläuterung nicht “rot vor den Augen”, aber das Bild des Medusa kam mir in den Sinn; und viele Bilder von wutverzerrten Gesichtern, mit blutroten Lippen, geschminkt oder tatsächlich blutig von dem Blut ihrer Feinde. Ich bin leider keine Kunsthistorikerin, um mich da zu weit aus dem Fenster zu lehnen ob der bildlichen Darstellung weiblicher Wut. Denke ich an die Bilder, die Frauen gemalt haben, in welchem sie Rache ausüben und ihre beispielsweise Vergewaltiger umbringen, sind sie stets von Blut und Gewalt umgeben, aber an und für sich immer “rein”, also eher hell dargestellt – sie sind ja auch im Recht. Denke ich an popkulturelle Darstellungen, bis zu zu weiblichen Vampiren und Superheldinnen, sind sie “je geschminkter”, desto “fragwürdiger” charakterlich. Die weiblichen Bösewichte der Disney Filme tragen zum Beispiel alle lila Lidschatten.
Scham – rot werden.
Wut – Rot vor Augen.
Gewalt – ROT.
Die Farbe und die Schminke als Symbol für einen beschämenden Charakter.

Und auch wenn die Grätsche jetzt sehr groß ist…
Die Konnotation von Scham unmittelbar mit der per se sündigen Frau (Danke katholische Kirche et al.), sowie negative Dinge wie Wut und Zerstörung als genuin für Frauen unziemliche Dinge anzunehmen, bedeutet, dass das Bild der “guten” Frau erhalten werden muss. Die “helle, strahlende und freundliche Frau”, die sich friedfertig abschlachten lässt, die sich bestenfalls “voller Schamesröte” ob ihrer Minderwertigkeit unterwirft (ich kotze gleich selbst, aber solche Passagen habe ich in jedem Buch schon mal gelesen..) und natürlich niemals roten Lippenstift trägt, der als unmissverständliches Symbol von Macht qua Oralität (NICHT: qua Fertilität!!) oder, etwas platter, überhaupt Weiblichkeit anzeigt und hey, wer weiß, die Bereitschaft im Blut der Feinde zu baden *grins*, ja diese helle und reine Frau ist das Ideal der… oh wait. Das Ideal der Faschisten!
Rot ist verboten, denn Rot ist gewalttätig, Rot ist Blut ist Periode ist Geburt.
Rot Rot Rot.

Wie man es dreht und wendet, die Verknüpfung von Unterdrückungsinstrumenten wie Scham und Religion übersetzen sich auch stets in ästhetischen Dingen, das nennt sich Kultur. Scham, Wut und Zerstörung in einem Satz mit rotem Lippenstift und mit Faschismus zu bringen, ist leider kein wirres Gerede. Es geht um die Verknüpfung von Symbolen, kleinere, unterschätzte Symbole im Alltag, die Teil eines großen Bildes sind. Frau sein, Schwarz sein, Behindert sein, Alt sein, das sind alles gefährliche Dinge mittlerweile – und alles, was verstärkt drauf hindeutet, gleichzeitig auch Zeichen des Protestes. Offene Haare, Make-up und Tanzen haben im Iran gereicht, Frauen zu ermorden.
Ja, ein roter Lippenstift, wenn die Frau dadurch benachteiligt wird, ist, war und bleibt politisch.

Die Wut und die Zerstörung sind eine gesonderte Geschichte: Frauen dürfen beides nicht sein und nicht zeigen, trotzdem werden sie dessen bezichtigt, insbesondere die Schwarze Frau trägt schon immer das Makel der “angry Black woman” – und daher stellen sich sehr viele Fragen. Dürfen sie/wir wütend sein? Dürfen wir zerstören?

Nun, da zitiere ich eine Schwarze Frau, die da weiter gedacht hat: The Master’s Tools Will Never Dismantle the Master’s House – Audre Lorde.
Von mir frei übersetzt: Die Werkzeuge des Herrschers werden niemals das Haus des Herrschers abbauen, ergo ein durch Wut und Zerstörung errichtetes System wird nicht durch Wut und Zerstörung auseinander genommen.

tl;dr Ich bin wütend, weil ich als Frau permanent beschämt werde; entscheide mich nicht für Zerstörung, sondern entschieden dagegen. Aber: Deine Freiheit hört da auf, wo sie meine einschränkt. Ich nehme mir die Freiheit, roten Lippenstift zu tragen und erwarte, dafür nicht herabgesetzt oder gar getötet zu werden.


Wertschätzung zeigen:
P A Y P A L ❤️ M E

2 Gedanken zu „Die Scham, die Wut und die Zerstörung

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