Würdest Du Dich liften lassen?

Angenommen, Du hättest einen wirklich guten Arzt und das passende Kleingeld dazu, würdest Du Dich liften lassen? lautete die Umfrage auf meinen Instagram Kanal.

Ich gebe wenig auf Statistiken, aber es haben sich knapp 60 Frauen und Männer gemeldet, deren Alter ich in etwa kenne und das Ergebnis war recht knapp, 46% waren dafür, und 54% waren dagegen. Es wird interessanter, wenn man sich die Textnachrichten dazu anschaut, also eine qualitative Studie daraus macht. Ich habe in der Regel sowohl Alter als auch Ort der Teilnehmer:innen, und auch den beruflichen und/oder finanziellen Hintergrund. Keine Angst vor Data Leaks, bitte! Mehr sage ich dazu nicht, stattdessen ein paar Zitate aus den Nachrichten:

“Dein Post trifft einfach den Nerv”.
“Wo fängt man an, und wo hört man auf?”
“Das ist mittlerweile Standard.”
“Frauen, die auf Frauen wg. ihrer Privilegien, Alter, Figur, Gesichter rumhacken sind ein Teil des misogynen, homogenen, frauenfeindlichen Masse.”

Reden wir über das entscheidende Kriterium: Geld. Klar, wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, man kann das Geld immer locker machen – wir reden hier aber schon über einen fünfstelligen Betrag.
Wenn ich jedoch zehn Tausend Euro in einer guten Mischung anlege, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich in zehn Jahren mehr Geld habe ziemlich hoch. Lege ich die stattdessen in meinem Äußeren an, gewissermaßen auch ein Kapital, muss ich die Investition über den Heiratsmarkt/Partnerschaft wieder rausholen. Ich werde nicht müde, Jutta Allmendinger zu zitieren: “Der Heiratsmarkt bezahlt Frauen besser als der Arbeitsmarkt” (2017).

Dass wir uns selbst unter einem male gaze beurteilen, kommt obenauf.

Doch was ist hiermit: “Wenn es Dich glücklich macht und Du es für Dich tust, dann ist es okay.”

Jetzt wird es spannend. Pro, Contra, eigentlich geht es darum, die richtige Frage zu stellen. Wie immer.

Man muss die Verkettung aller Argumente in die richtige Reihenfolge bringen, dann erschließt sich die Argumentation. Ist eine ästhetische Operation sinnvoll?

1. Das medizinische und das ästhetische Risiko sind vorhanden.
2. Das Geld ist besser als Anlage.
3. Man macht das nicht für sich selbst.
4. Man bleibt unzufrieden, weil die Baustelle nicht das Gesicht ist.
5. Man wird noch mehr im Außen die Bestätigung suchen (und wessen?)

Wie urteile ich über mich selbst?

Diese abschließende Frage ist auch die Antwort. Wenn mir Frauen Mitte 30 schreiben, dass sie Angst vor dem Älter werden haben (zurecht! es ist scheiße!!) und durchaus über operative Eingriffe nachdenken, andere solche schon haben machen lassen, auch okay, und andere das komplett ausschließen und stattdessen empfehlen, bestimmte Social Media Kanäle zu meiden.

Was dabei eigentlich so erstaunlich ist, dass dieses Thema eine bestimmte Schicht sehr wohl anspricht und auch beschäftigt. Langeweile ist es nicht, es ist der Anspruch und auch die Möglichkeit, einen bestimmten Standard zu gewährleisten. Da man solche Eingriffe in der Regel sieht, ist es ein Statussymbol; aber es ist gleichzeitig der Druck auf die Frauen überwiegend, einen bestimmten Status Quo als Eye Candy aufrechtzuerhalten. Der Grund dafür ist ganz banal, aber 40 und spätestens in der Rolle als Mutter verschwinden Frauen aus der Öffentlichkeit. Je höher es auf der Karriereleiter geht, desto weniger Frauen gibt es, und sie haben sehr häufig keine Kinder (alternativ Kinder und soliden finanziellen Background). Es bleibt also als Gegenmaßnahme die Selbst-Optimierung und Hoffnung, nicht komplett aus dem Spiel zu verschwinden. Sicherlich auch die Angst, durch eine jüngere Partnerin ersetzt zu werden. Und vielleicht auch der Druck des Partners, der ein Eye Candy präsentieren möchte.
Der Markt jedenfalls boomt und so bietet jeder zweite Facharzt kosmetische Eingriffe. Ich kann in den nächsten Stunden mir ggü Botox abholen, denn ich habe drei Praxen zur Auswahl, wo ich fünf Minuten hingehen muss und sofort drankäme, denn es ist für die Ärzte schnell verdientes Geld.

Zurück zu Social Media und den krassen Filtern: Ja, das ist ein Problem. Doch mein routiniertes Auge kann gar nicht mehr Gesichter ansehen, ohne dass im Hintergrund automatisch gecheckt wird, welche Eingriffe erfolgt sind. Das ist gewissermaßen schon eine Erwartungshaltung. Schräg.

Die Frage also, ob man sich einem schweren Eingriff unterziehen würde aus rein optischen Gründen, ist sehr vielschichtig. Es treten hier viele verschiedene Diskriminierungsformen zusammen, und zwar wunderbar internalisiert. Ageism, also Altersdiskriminierung, Klassismus, Sexismus, und Lookism, etwas weniger bekannt, Diskriminierung aufgrund äußerlicher Merkmale (zu schön/nicht schön genug). Das Meiste zielt auf Frauen ab, es sind aber zunehmend auch Männer betroffen, allerdings immer noch als Randerscheinung. Männer können sich noch mit Geld und Erfolg aufwerten, aber auch das wird schwieriger, wenn Frauen nicht mehr auf selbiges angewiesen sind.

Ein Argument, das mich erheblich bewegt hat, war die Frage nach dem “nächsten Eingriff” – also der Hinweis darauf, dass man sich in eine Unzufriedenheitsspirale begibt, was ich durchaus auch schon im Freundinnenkreis gesehen habe. Haare färben, Botox, Bauchdecke straffen, Lifting, – was kommt dann noch?! Natürlich ist es zeitgleich eine etwas obsessive Beschäftigung mit sich selbst und glaubt mal, das beansprucht Zeit. Der Job als Eye Candy ist schon nicht ohne, und auch wenn es sich nach Wellness anhört, ist das Wahrnehmen von Terminen zur Verschönerung auch ein Ganztagsjob. Gut für die Industrie, und die Hausfrauen sind auch von der Straße.

Ich kenne und sehe alle Seiten, ja. Ich bin aber gleichzeitig auch die klassische Kandidatin, die sich tatsächlich auch über das Aussehen monetarisiert. Wäre ich nicht normschön, wäre ich nicht auffällig gut gekleidet, wäre ich nicht frisch (naja, aber ich höre es noch LOL), gäbe ich als Stylistin eine schlechte Figur ab. Dabei ist es egal, es sagt wenig über mein Können aus, aber wir sind nun mal unsere Aushängeschilder und ich arbeite damit. Sichtbarkeit ist erlernbar und erzeugbar, ein Werkzeug eben.

Es ist also möglich, so etwas zu rationalisieren und es als Investment zu betrachten, so wie sich Sexworkerinnen beispielsweise die Brüste vergrößern lassen. Und ungefähr ab da wird es gefährlich, denn ab dem Zeitpunkt der Rationalisierung ist es eben nicht mehr weit bis zum OP-Tisch. Mir hat eine Chirurgin davon vehement abgeraten und gesagt, ich solle netter zu mir sein. Fürchte, sie hat recht.

Und weil ich zu Extremen neige, habe ich nach mehreren Wochen über dieses Thema nachdenkend, beschlossen mich absolut von meiner persönlichen “jünger” machenden Maßnahme zu trennen, nämlich Haarfarbe auffrischen, und… äh… erstmal ganz sechs weiße Haare aus meinem Haarschopf geschnitten. So ehrlich bin ich dann doch. Und ehrlicherweise würde ich vermutlich auch auf einem OP Tisch “hüpfen”, wenn ich es nicht bezahlen muss. Da bin ich einfach mal Kapitalistin, gel.

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