Wieder eine Schriftstellerin die mir entgangen ist, genau wie Bilkau – und ich frage mich warum? Weil es Frauen sind? Warum habe ich den letzten Roman von Salman Rushdie gekauft – und nach den ersten Seiten erbost weggelegt, weil da eine Vergewaltigung gleich am Anfang vorkommt, denke ich mir, und gleichzeitig leere ich in meinem Kopf meine Bibliothek von vermeintlich “klassischen” patriarchalen Autoren, um nicht mehr allzuviel übrig zu haben.
Und ich frage mich: Wo kommt bloß diese ganze internalisierte Misogynie her? Ahhhh… aus der Schule, aus der Uni und aus dem Alltag der Kulturbranche. Theaterstücke kommen selten ohne sexuelle Gewalt aus, es will sogar tatäshclih einer(natürlich ein Mann!) aus den krassen Fall der Mme Pélicot ein Theaterstück machen. Was stimmt mit Menners™ nicht???
Na, zumindest bezüglich der Bekanntheitsgrades Autorinnen wollen wir mal abhelfen. Drei Bücher habe ich von Frau Han gelesen, ja, das ist der Nachname, wird auf koreanisch üblicherweise zuerst genannt – und zwar zwei davon auf Englisch, und eines auch auf Deutsch. Ich gebe zu, ich lese auf Englisch weil es billiger ist und ich einen sehr großen Durchsatz habe. Zeit für einen E-Reader.
Die englischen Ausgaben haben sich meinem Gefühl nach viel mehr ihrer Sprache angenähert, und sie schreibt zart. Das hat mir auch bei Frau Bilkau sehr gefallen. Zart.
Nicht schwach, sondern zart,- nicht sentimental, nicht einfühlsam, sondern zart, vorsichtig, genau. Es ist eine Form, die ich so nicht kannte und vielleicht früher nicht wertgeschätzt hätte. Ich mag dichte Texte, reichhaltige Sprache, ein Text wie eine hochkalorische Torte, etwas das meinen Gehirn gleichzeitig in tausend Richtungen springen läßt. Ich mag Dostojevski, wen wundert es – ein guter Beobachter und Psychologe. Die deutschen Übersetzungen sind mächtig und dicht, und das finde ich an der deutschen Sprache wirklich toll.
Mit Han Kang haben wir etwas ganz anderes, und ich will es als besser oder schlechter werten – es ist etwas anderes, und das Buch, das ich gestern gestoppt habe zu lesen, weil ich es so grausam fand, ist das prämierte Werk „Menschenwerk“, das bereits als Taschenbuch erschienen ist. Sie schreibt über, und das ist sehr wichtig, über sehr grausame Dinge, ohne dabei ihre Menschlichkeit zu verlieren. Sie wäre eine gute Ärztin, I guess.
Frau Han verarbeitet geschichtliche Begebenheiten, die sehr grausam und in Europa sehr unbekannt sind, weil wir selbst genug davon haben, aber ohne die genuin männliche Lust daran, ohne ekelerregende Beschreibungen. Sie setzt ihre Geschichten im Kontext von Kunst, von Familie, von Einsamkeit, Dinge die sich wohl gegenseitig bedingen. Im „Menschenwerk“ reist die Hauptfigur während eines Schneesturms auf die Insel Jeju, ein Ort wo schlimme Kriegsverbrechen begangen wurden, um den Kanarienvogel einer Freundin zu retten, und kommt zu spät. Oder nicht? Kanarienvögel, seltsame Viecher, aber auch treffendes Bild für ihre Sprache, leicht, intelligent, vorsichtig, und wieder: Zart.
Um den historischen Kontext verstehen und wertschätzen zu könne, sollte mensch sich ein wenig Zeit nehmen und in der Wikipedia nachlesen. Und vielleicht auch mal aufhören, alles als „asiatisch“ zu bezeichnen, denn Asien ist ein sehr großer Kontinent mit sehr unterschiedlichen Kulturen, und sagen wir mal so: Es ist kompliziert. Und es ist grausam.
Zwischendurch gibt es präzise recherchierte Fakten zu so manchen Dingen, die im Buch vorkommen, wie den vorhin genannten Kanarienvögeln. Während ich schreibe, muss ich an ein Gemälde denken, das ich aber noch nicht ganz „gesehen“ habe, das präzise und kunstvoll gemalt ist, etwas grausames enthält aber auch friedlich ist, wirklich große Kunst kann das: Gefühle evozieren, unterschiedliche und alternierende, aber ohne Schrecken. Eine Form der Darlegung von Fakten menschlicher Grausamkeit, die man empathisch aufnehmen kann, ohne dass sie einen innerlich zerstören. Trotzdem musste ich das Buch oft pausieren, ich bin empfindlich, vieles erinnerte mich an den Grausamkeiten des zweiten Weltkriegs, und so ist das Buch bis dato noch nicht mal ganz ausgelesen.
Ihr sehr viel bekannteres Buch „Die Vegetarierin“ ist weniger historisch angelegt, mehr psychologisch, war ebenfalls sehr erfolgreich und wurde in vielen Sprachen übersetzt. Ein Frauenbuch, würde ich fast sagen. Aber nicht so, wie Menners™ das Wort Frauenbuch verwenden.
Die Geschichten die sich um historische Hintergründe „wickeln“, wie Seidenpapier um ein Porzellanfigürchen, die sehr viel persönlicher sind, mochte ich lieber, auch wenn sie weiß Gott nicht einfach zu verdauen sind. Auf alle Fälle einer große Empfehlung für diese Autorin – es ist nichts kompliziert oder komplex geschriebenes, schwülstiges Geschreibsel; es ist jedoch nie „leichte“ Lektüre. Auf Englisch braucht es einen größeren Wortschaft als ich persönlich zur Zeit habe, ich musste viele Wörter nachschauen. Auf Deutsch ist die Übersetzung meines Erachtens dem Sprachduktus nach weniger gelungen, aber immer noch gut genug.
Frau Han hat sehr viele Publikationen und ist die Tochter eines Schriftstellers, hat Literatur studiert, hat gelehrt, lebt und atmet Text, aber persönliches habe ich über sie nichts herausfinden können. Vielleicht ist da einfach auch nichts (lol, als ob!! was schreibt man denn sonst außer über sich??) weil sie sich dem Schreiben gewidmet hat, denn als Frau ist es leider immer noch ein Privileg.
Kleiner Nachtrag: Ihr Werk “I went to see my father” fand ich als intergenerationale Geschichte toll, es ist leider nicht auf Deutsch erschienen.