Die professionelle Bloggerin

Diskussionen über mein Metier blocke ich ab mit dem Satz: “90 Euro für die angefangene halbe Stunde” – und das “wir können ja mal gemeinsam shoppen” ebenso. Natürlich beantworte ich Fragen, gebe Tipps, suche was raus, aber ich überlege jetzt dreimal, ob ich die Zeit wirklich habe.

Der Tag beginnt und endet am Handy, das Essen ist nebenbei, und Sport gehört zur Arbeitszeit. Salat, Schokolade und Sport, Schlafen, alles kreativitätsfördernde Dinge! Der Rest ist wenig glamorös, sitzt man ungeduscht in wilden Klamotten, perfekt lackierten Nägeln und Duftwolke XY am Schreibtisch. Die Recherche-Ausflüge in die Parfümerie enden immer gleich: Feststellen, dass man alles schon hat, kennt, und qualitativ betrachtet nicht featuren kann, denn das Wort Luxus weckt Erwartungen und hängt wie ein Damoklesschwert über mein Haupt: Ist das Luxus, oder ist das einfach nur “nice”?

Morgens schon überlegen, wie der Tag strukturiert ist und die “kreative” Ader bemühen. Kreativität ist nicht Gott gegeben, sie besteht zu 80% auch nur aus Arbeit: Versuchen, scheitern, anpassen.

Bloggen ist mitnichten nur schreiben, es ist Teil eines Konzeptes: Das Produkt, die Dinge drumherum, das Storytelling, die Szenerie. Egal was es ist, ob eine Versicherung, Diarrhö-Kapseln oder Wimperntusche: Dinge sind nicht einfach nur Dinge. An sich schon, aber wenn eine Apotheke ein Schaufenster hat und Werbung betreiben muss, was sich mir einfach nicht erschließt, weil Medikamente nicht beworben werden sollten, dann müssen kluge, zuweilen betrunkene und bekokste Menschen in Agenturen schon MEHR draus machen. Und ich muss das auch, minus Saufen und Koksen.

Meine Zielgruppe ist sehr gebildet, also kann ich die nicht bescheißen oder mit hübschen Bildchen befriedigen. Die wollen was fürs Hirn, und dann erst was fürs Auge. Heile Welt und pseudoreich Lifestyle auf Papas Kreditkarte ist genau das, was keiner mehr sehen will. Und die Verbindung zwischen Luxus, Ästhetik und Weltgeschehen regelmäßig zu ziehen (“Das Private ist politisch!” Noch lauter für die Leute weiter weg!) ist schon herausfordernd. Und dabei muss ich ständig ethische Entscheidungen treffen: Benutze ich Filter, rede ich Dinge schön (LOL – LÜGEN heißt das), nutze ich meine “Gefolgschaft” aus?

Oh, und weil Menschen bestimmte Tätigkeiten nicht verstehen, stelle ich Euch die FAQs zu diesem Berufsbild zusammen.

Kann man davon leben? Ich stehe vor Dir, beantwortet hoffentlich die Frage.
Warum fährst Du kein Porsche? Könnte einen leasen, aber wenn soll ich damit beeindrucken?!
Hast Du Zeit? Ja, aber nur wenn ich das will.
Kannst Du das von der Steuer absetzen? Nein, aber von den Einnahmen, die man allerdings erst generieren muss.
Was machst Du den ganzen Tag? Arbeiten, und zwar egal wo ich bin, mein Büro ist das Handy in der Handtasche.
Ist das nicht peinlich und selbstverliebt, sich ständig zu fotografieren und zu filmen? Ich verkaufe Sichtbarkeit, soll ich das als körperloses Wesen und ohne Gesicht machen?!
Kriegst Du alles geschenkt? Die Zeiten sind vorbei, weil Bloggerinnen für “Geschenke” jetzt Rechnungen schreiben.
Kannst Du mir mal… “90 Euro für die angefangene halbe Stunde!!”

Übrigens ist das Netzwerk von Selbstständigen und KMUs der Grund, warum die Wirtschaft in Deutschland überhaupt etwas reißt. So viel Motivation, Innovation und Arbeit gibt es in Vorständen und überbezahlten Management nicht. Sry not sry.

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