Die neuen Klone – Insta Influencerinnen und ihre Schönheitseingriffe

Es ist zehn Uhr abends on the ‘gram, wie die Amerikaner:innen sagen, und die Fashion/Make-up/Berufshausfrau Community wird mir in die Timeline gespült. Alle Bilder, die ich ansehe, sind thematisch ähnlich, es sind Schmuck-Visuals oder aber Influencerinnen, die vom Laufsteg berichten.

Die meisten, selbst die bekannten Influencerinnen kenne ich nicht, ich sehe gefühlt immer wieder die gleichen Gesichter und scrolle gelangweilt weiter. Insbesondere in der 20-30 Riege ist es Gesetz, aufgspritzte Lippen, eine operierte Nase, Filler in den Wangen und Silikon-Brüste zu haben. Es ist ganz normal. Die perfekt tätowierten Augenbrauen und die perfekten künstlichen Wimpern, nicht zu viel, nicht zu wenig, sind selbst in der Provinz in der Altersriege 15-85 (meine Nachbarin!) normal. Die Gesichter unterscheiden sich immerhin noch.

Immer wieder denke ich, die kennst Du, aber eigentlich erkenne ich absolut niemanden wieder, alle Nationalitäten, alle Altersgruppen, sie scheinen alle den selben Chirurgen zu haben oder mit diesem einem Bild dahin zu gehen. Ich würde vermutlich mit einem Bild von Angelina Jolie oder Irina Shayk zur OP gehen – und doch sind diese unverkennbar. Die in verschiedenen Blondtönen und unterschiedlichen Stadien der Lippen-Aufgespritzheit erhältlichen Influencerinnen oder Models hingegen scheinen sich erratisch ins Endlose geklont zu haben. Ganz ersichtlich ist es nicht, was sie verkaufen, es scheint tatsächlich einfach ein Lifestyle zu sein.

Und dann klingelt es bei mir, spät immerhin, aber es klingelt. Die amerikanische Karriere ist die einer sog. “trophy wife”, und das Bild der Haufrau, die zuhause belibt, und shoppt und den Nachwuchs aufzieht, wird endlos auf Instagram perpetuiert. Die Männer existieren nicht, dafür Chanel-Handtaschen, große Häuser und Autos, und manchmal auch niedliche kleine Kinder, die auch schon vor die Kamera gezerrt werden. Schwierig.

Ein Investment ins Äußere für den Heiratsmarkt ist immer noch üblich, und der Prototyp wurde auf Instagram auserkoren – eine modische Erscheinung, die schmerzhaft und teuer ist, aber zum guten Ton dazu gehört. In Amerika wird auch früh geheiratet – und früh operiert.

Die Gegenbewegung feiert sich als stay-at-home Vater und als Single-“Bitch”, die einen Mann gar nicht braucht. Immerhin. Darunter finden sich viele Schwarze Frauen, die aus diesem Rollenmodell scheinbar erfolgreicher ausbrechen. Doch auch da gibt es die Vorlage für den Chirurgen: Schmale Nase, hohe Wangen, aufgespritzte Oberlippe. Und dazu stets ein aufhellendes Make-up.

Es ist schon eine schräge Branche. Je länger ich schaue, desto weniger fühle ich mich darin “passend”, und während ich meiner fast 80jährigen Mutter erläutere, was ich tue, und was Influencerinnen sind und das ich auch eine bin (ja, nun) – überlege ich parallel, ob ich nicht, um das Cliché zu erfüllen, so etwas machen müsste. Also nicht zur Pediküre, sondern zum “Bla Irgendwas Laser Dingsi Botox Hmpf” gehen.

Die wenig witzigen Kommentare von Tüppen, ich solle mir doch XXYY machen lassen, zeugen von einer gesellschaftlichen Körper-Dysmorphie. Die gab es schon immer, sind Porträts bereits gefälscht worden im Sinne von “verschönt” – doch jetzt nimmt es absurde Ausmaße an. Und dieses kann ich statistisch belegen, sind die Beiträge auf meinem Blog zu Schönheitseingriffen doppelt so beliebt wie alles andere. Weil ich es in Frage stelle? Weil es so viele beschäftigt? Weil wir verwirrt sind, was wir für “ein Bild” abgeben wollen? Immerhin sind weiße Haare jetzt nicht mehr revolutionär, und mindestens zwei weibliche Hollywood-Stars haben jüngere Partner.

Die Klon-Industrie ist aber eine erfolgreiche: Wie ein zoologischer Garten, in dem unterschiedliche Exponate unterschiedliche Dinge tun. Mir ist nicht ganz klar, warum sich Menschen für so etwas interessieren – ich tue es auch, ich lese Klatsch-Zeitschriften und bin selbst ein Subjekt in einer winzigen Sphäre. Obwohl ich mir so durchschnittlich wie nix vorkomme, breche ich immer wieder aus der Norm raus, was viele faszinierend finden. Das wiederum widerspricht den endlos geklonten Influencerinnen, einer immer gleichen Ästhetik und gleichen Handlung. Wobei, das gibt uns ja auch Sicherheit, und selbst Filme und Bücher gehen nach dem gleichen Plot vor, immer wieder.

Doch, wenn wir bei der Soziologie bleibe, brauchen wir die Klone genauso wie die Rebellen gegen die Normen, sie bestätigen ja einander. Doch wann kommt Bewegung rein? Durch die Zuschauer:innen und Leser:innen, die mit der Message der Influencer:innen, auch wenn es keine gibt, im Alltag umgehen. Ob sie Produkte kaufen, nicht kaufen, und was ich konsterniert feststelle: Ob sie unterm Messer landen oder nicht.

Die Klone treffen auf die Hyper-Individualisierung. Was bleibt?

Die Erkenntnis, dass alle zu einer amorphen Masse werden, weil sie anfangen, sich zu ähneln. Wirklich heraus stechen tun “Störfaktoren” – also gilt es zu erkennen, dass die schiefe Nase, die Narbe, die sichtbare oder unsichtbare Behinderung keine Schwäche sind, sondern einzigartige Dinge, die Komplexität erzeugen und die Klon-Armee hinter sich lassen.

Übrigens gibt es Menschen, die nicht erkennen, das dieses Bild absolut ironisch gemeint ist:

Die professionelle Bloggerin

Diskussionen über mein Metier blocke ich ab mit dem Satz: “90 Euro für die angefangene halbe Stunde” – und das “wir können ja mal gemeinsam shoppen” ebenso. Natürlich beantworte ich Fragen, gebe Tipps, suche was raus, aber ich überlege jetzt dreimal, ob ich die Zeit wirklich habe.

Der Tag beginnt und endet am Handy, das Essen ist nebenbei, und Sport gehört zur Arbeitszeit. Salat, Schokolade und Sport, Schlafen, alles kreativitätsfördernde Dinge! Der Rest ist wenig glamorös, sitzt man ungeduscht in wilden Klamotten, perfekt lackierten Nägeln und Duftwolke XY am Schreibtisch. Die Recherche-Ausflüge in die Parfümerie enden immer gleich: Feststellen, dass man alles schon hat, kennt, und qualitativ betrachtet nicht featuren kann, denn das Wort Luxus weckt Erwartungen und hängt wie ein Damoklesschwert über mein Haupt: Ist das Luxus, oder ist das einfach nur “nice”?

Morgens schon überlegen, wie der Tag strukturiert ist und die “kreative” Ader bemühen. Kreativität ist nicht Gott gegeben, sie besteht zu 80% auch nur aus Arbeit: Versuchen, scheitern, anpassen.

Bloggen ist mitnichten nur schreiben, es ist Teil eines Konzeptes: Das Produkt, die Dinge drumherum, das Storytelling, die Szenerie. Egal was es ist, ob eine Versicherung, Diarrhö-Kapseln oder Wimperntusche: Dinge sind nicht einfach nur Dinge. An sich schon, aber wenn eine Apotheke ein Schaufenster hat und Werbung betreiben muss, was sich mir einfach nicht erschließt, weil Medikamente nicht beworben werden sollten, dann müssen kluge, zuweilen betrunkene und bekokste Menschen in Agenturen schon MEHR draus machen. Und ich muss das auch, minus Saufen und Koksen.

Meine Zielgruppe ist sehr gebildet, also kann ich die nicht bescheißen oder mit hübschen Bildchen befriedigen. Die wollen was fürs Hirn, und dann erst was fürs Auge. Heile Welt und pseudoreich Lifestyle auf Papas Kreditkarte ist genau das, was keiner mehr sehen will. Und die Verbindung zwischen Luxus, Ästhetik und Weltgeschehen regelmäßig zu ziehen (“Das Private ist politisch!” Noch lauter für die Leute weiter weg!) ist schon herausfordernd. Und dabei muss ich ständig ethische Entscheidungen treffen: Benutze ich Filter, rede ich Dinge schön (LOL – LÜGEN heißt das), nutze ich meine “Gefolgschaft” aus?

Oh, und weil Menschen bestimmte Tätigkeiten nicht verstehen, stelle ich Euch die FAQs zu diesem Berufsbild zusammen. Weiterlesen…

Neustart oder: Erfinde Dich neu

Als ich mit elf mein Zuhause verließ, mit Sack und Pack würde man vielleicht schreiben, aber de facto mit vier Koffern und zwei Kisten für 4 Personen, war es keine Flucht. Es ist nicht vergleichbar mit dem, was sich heutzutage Flüchtlinge antun müssen, um nach Europa zu gelangen. Es war eine legale Ausreise, kurz vor dem Ende des Kalten Kriegs. Mit elf fühlte es sich an wie ein Abenteuer, es sollte ein Neubeginn werden, etwas Schwammiges und Leuchtendes, was in der Zukunft lag und von dem man keine Vorstellung hatte. Ich hatte schon begonnen, Deutsch zu lernen mit einem touristischen Reiseführer, und erinnere mich nur vage an den Abschied von Verwandschaft und Freundinnen. Die Zeit danach war hart, und ich erinnere mich an viele Dinge ungerne. Zuerst war die Angst, als wir im Zug zwischen Budapest und Wien kontrolliert wurden, – ich habe bis heute Angst vor der Polizei. Als zweites war das Licht, das ungeheure Licht, das ein Supermarkt, einfach so hatte. Mit Stromausfällen als Norm aufgewachsen, war ich so geblendet von diesem Licht, ich erinnere mich kaum an meinem ersten Supermarkt Besuch, wo ich das erste Mal in meinem Leben einen Einkaufswagen sah. Auch das ist bis heute geblieben: In meiner Bude muss es hell sein, immer, ich habe für Lampen und Glühbirnen ein Vermögen ausgegeben. Dunkel und gemütlich mag gelegentlich schön sein, die meiste Zeit brauche ich aber Licht und Helligkeit.
Die Zeit danach war… nicht schön. Kann man so subsummieren. Doch als Kind erlebt man diese Dinge anders und kann sie erst später einordnen und es war okay, irgendwie. Bis auf die Angst, Verzweiflung und Demütigung der Eltern, die sich auf einen wohl überträgt, war es wohl okay.

Und so gab es einen Neuanfang, und er war gut. Für mich, einzig für mich von uns vieren, wenn ich so zurück blicke. In der Schule lernte ich mühelos Deutsch, bekam allerdings auch Förderunterricht von einem geduldigen Grundschullehrer – in seiner Freizeit. Ich weiß seinen Namen nicht mehr, aber ich kann hervorragend Eichhörnchen und Schornsteinfeger aussprechen. Das Gymnasium war sehr kurz danach wieder ein Neuanfang, und auch das klappte gut, auch hier hatte ich Hilfe, und übersprang eine Klasse. Wieder ein Neuanfang, diesmal mitten in der Pubertät. Das Wunderkind war oh Wunder, gar keins und so faul wie nix, und so prügelte mich meine beste Freundin durch Chemie und irgendwie auch bis zum Abitur.

Ging es gut? Rhetorische Frage, irgendwie gewährte man (der Schulleiter!) mir das Abitur, für das ich zumindest in einem Fach gelernt hatte, und danach ging es relativ regulär weiter.

Dieses Prolog ist in Wirklichkeit sehr viel länger, er geht etwa 20 Jahre, in denen ich immer wieder neu anfing. Ausbildung, Beruf, Studium, Beruf, Ehe, Kinder. Die Namen der Frauen, die mich dabei unterstützen, habe ich alle parat.
Die Lehrerin, die Dozentinnen, die Chefin, die Anwältin, die Ärztinnen.
Immer wieder fing ich an und baute Dinge auf: Karriere, Familie, all’ diese Dinge, die am Ende des Tages auf dem Programm des Lebens so stehen – vermeintlich. Stehen können.

Dabei war es immer schwierig, mich selbst einzuordnen. Ich war überall dabei, probierte dies und jenes, das Leben als dies&das. Immer wieder wandelbar als Person, gab es eine Konstante: Ich passe hier nicht hin, aber ich habe es mal ausprobiert. Sehr spät habe ich gelernt, dass es Marginalisierung bedeutet, die man erfährt als Randgruppe, auch wenn man sich selbst NICHT als Randgruppe einschätzt. Ich bin eine Frau, eine Emigrantin, ich bin Ostblock, ich bin Ghetto, ich bin überdurchschnittlich gebildet und intelligent. Wäre ich noch schwarz, wäre ich am Arsch (oder sehr erfolgreich, wie meine Namensschwester).

Jeder Neuanfang brachte mir allerdings auch neue Skills, und so lernte ich vom Verkaufen bis hin zu Führung wirklich auf jeder Ebene Dinge, von denen ich heute zehre. Denn ich habe schon wieder neu angefangen, vermutlich an einer Stelle, an der ich schon mal gewesen bin. Und wie ist es denn so, in nicht mehr jungen Alter, wenn man eigentlich alles in trockenen Tüchern hat, wieder bei Null zu starten?
Na. Man startet nicht bei Null!


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