#ADHSAwarenessMonth

Der Oktober ist ADHS/ADS Awareness Month und gleich ein ganzer Monat wurde diesem nicht so seltenen Fall von Neurodiversität eingeräumt. Ich will beitragen, dem Ganzen etwas positives abzugewinnen und darüber grundsätzlich etwas aufzuklären, gerade weil Frauen es bezüglich einer Diagnose schwerer haben.

AD(H)S… und siehste, ich kann das grad nicht zusammen schreiben, denn ich habe selbst ADHS und meine Aufmerksamkeitsspanne für heute wurde schon erheblich konsumiert. Als ereditäre/vererbte Besonderheit konnte ich das erst nachvollziehen, nachdem mein Sohn alle üblichen Anzeichen dafür aufwies und mir diese bekannt vorkamen. Und weil Frauen kaum so eine Diagnose erhalten, schon alleine weil es sich bei Frauen anders äußern kann und weil der gesellschaftliche Druck zur Anpassung wesentlich höher ist, so daß man sehr schnell Mechanismen erlernt, sein Verhalten regelrecht zu maskieren, konnte ich meiner Mutter an Doktors statt die frohe Botschaft überbringen, dass sie definitiv auch betroffen ist.

Selbstdiagnosen sind so eine Sache, und nicht ungefährlich, und spätestens im somatischen Bereich, also körperlich, sollte man ein bis drei Ärzte zu Rate ziehen, und im psychischen Bereich erst recht auf Profis zurück greifen. Eine gründliche Auseinandersetzung mit den Symptomen und sehr viel Selbstbeobachtung sind dabei hilfreich. Mittlerweile kann ich beruhigt sagen, dass mein Freundeskreis relativ dicht besät mit neurodiversen Menschen ist, ob es HSP (sog. hochsensitive Menschen) sind und/oder Hochempathen, und ADHS gab es häufig geschenkt dazu.

Die “Symptome” empfinde ich zum größten Teil als Bereicherung, werden aber auch zunehmend anstrengender in einer Welt voller Sinnesreize; und einiges läßt sich tatsächlich nicht gut im Alltag unterbringen, zumindest sind viele Arbeitsplätze und Jobs nicht dafür ausgelegt.

Ich will mal erzählen was ich so habe, und was ich vor allem kann, denn ich sehe es als Zauberkraft und Stärke, und ziehe meinen Nutzen daraus.
Zum Beispiel bin ich ein Bildermensch und kann nicht wirklich Filme gucken, weil da zu viele Sinne auf einmal angesprochen werden. Dafür sehe ich in Bruchteilen von Sekunden alle Details, jede Falte die schief ist, jeden Fusel und ich lese auch in unglaublicher Geschwindigkeit. Als Stylistin und gerade in Zusammenhang mit Photos ist das ein nahezu göttliche Gabe, als Privatperson ziemlich ätzend, bis man lernt auch mal Fünfe gerade sein zu lassen. Perfektion ist, wenn man weiß, dass es verbessert werden KANN, aber nicht verbessert, sondern zu Ende bringt.
-Mein Multi-Tasking ist der Horror, ich mache alles gleichzeitig und ich kann nicht anders, es sei denn, ich bin im Hyperfokus-Modus. Das bedeutet höchste Konzentration und das kann man bei allen möglichen Dingen “einsetzen”, ob ich schreibe, koche, was bastele oder Sport mache.
-Schusseligkeit? Ich laufe öfter irgendwo gegen und ich suche permanent meine Sachen, die ich besonders ordentlich weg gepackt habe. Die Schränke sind Chaos pur, oder picobello aufgeräumt; ich habe noch nie was vergessen oder verloren wie Handschuhe oder Schlüssel, aber ich suche permanent Dinge wie meinen Schmuck oder meine Handcreme (und jetzt muss ich die suchen und mir noch einen Tee kochen…).

-Meine Aufmerksamkeitsspannen sind sehr variabel, ich schwanke zwischen Toastbrot und Yedi-Ritter. Während Du noch Deinen Satz zu Ende sagst, habe ich zu Deinem Reisebericht schon eine komplette Geschichte zusätzlich in mein Kopf erdacht oder aber eine komplette Reise mit Outfits geplant, weil ich zum Geburtstag eingeladen wurde. Allerdings kann ich für mich wichtige Gespräche wortwörtlich wiedergeben und man sollte in meiner Anwesenheit nicht allzu leichtfertig mit der Wahrheit umgehen, denn ich weiß einfach wenn jemand lügt. Da ich zudem mehreren Gesprächen gleichzeitig folgen kann und muss, Körpersprache und Mimik immer “mitgeschnitten” werden, kann ich gerade in künstlichen Situationen wie Bewerbungsgesprächen oder Meetings Dissonanzen registrieren.
-Ich unterbreche permanent und mische mich gerne ein, was ich natürlich mittlerweile unterdrücken kann, und bin laut und impulsiv, was charmant aber auch nervig sein kann. Gezielt eingesetzt, ist es DIE Zauberkraft um eine Gruppe zu leiten, und grundsätzlich um die Führung in Situationen zu übernehmen.
-Ich bin sehr pünktlich, und ich gratuliere trotzdem immer zu spät zu jedem Geburtstag. Trotz Eintrag im Kalender.
-Hyperaktivität habe ich gut im Griff, es sei denn… ich habe es eigentlich überhaupt nicht im Griff und stehe permanent auf, mache irgend etwas anderes, und schlimmstenfalls rolle ich mit den Augen oder mache irgendwas mit dem Gesicht. Die Energie entlädt sich immer irgendwo. In jüngeren Jahren, insbesondere bei Kindern, sind Tobsuchtsanfälle mit Um-sich-Schlagen und auf den Boden werfen gar nicht so untypisch.
-Angststörungen sind leider auch unschöne Begleiterscheinungen und Klaustrophobie und Höhenangst sind meins wie kein zweites. Ich hasse Fahrstühle. Fliegen. Autos. Tunnel. Türme. Man sieht den Zusammenhang.
-Die Zauberkraft einer hochentwickelten Reizaufnahme wie besser sehen, riechen, schmecken und spüren sind anstrengend, genau wie soziale Interaktion. Man braucht also Pausen um das zu verarbeiten und auch um wieder aufzutanken.
-Die Anfälligkeit für Sucht und Zwangsstörungen ist erhöht, und man muss höllisch aufpassen. Ich bin da gut weg gekommen, habe dafür einen Kontrollzwang LOL was mich wiederum gelehrt hat, zu delegieren, um auch mit diesem unangenehmen Nebeneffekt umzugehen.
-Es gibt ohne Frage sogenannten Komorbiditäten, also in Zusammenhang stehende weitere Krankheiten. Allergien sind beliebt (hier, ich!) bis hin zu Depressionen und Esstörungen. Körper und Psyche sind nun mal ein Kreislauf.

Diese Dinge machen einen zu einer hochgradig reflektierten und strukturierten Person im besten Falle, die ihren Stiefel durchzieht im schlechtesten Falle – es ist stets eine Gratwanderung.

Das ist meine persönliche Geschichte, und die meiner Mutter oder anderer Leute sieht anders aus. Ich kann auf alle Fälle sagen, dass es sehr hilfreich ist, das zu wissen und damit bewusst umzugehen. In vielen Fällen braucht es kleine Dinge, um besser klar zu kommen, und in vielen Fällen kann eine reflektierte Auseinandersetzung mit solchen häufig als Schwäche wahrgenommenen Dingen zu krassen Ergebnissen im Alltag führen. Kommunikation, Kreativität und Leadership sind DIE Kehrseite der Medaille!

Was natürlich in diesem Kontext fehlt, und was ich weiträumig umfahre, ist das Wort “Behandlung”. Umgang mit Dingen, die einem das Leben schwer machen, können von Diät bis Medikamenten unterschiedliche Lösungen sein. Ich mag das auch nicht als Krankheit begreifen, sondern als Diversität, und so wie es behinderte Menschen gibt, weil die Umwelt sie behindert, gibt es neurodiverse Menschen, die aufgrund des vorgegebenen Systems von der Norm abweichen.

Dass ich irgend etwas wichtiges vergessen habe, ist klar, aber hey, work in progress.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

CommentLuv badge