20 Jahre Social Media – zwischen Sucht und Sehnsucht

Seit 20Jahren blogge und bin nun mehr auch seit der ersten Stunde in den sozialen Medien unterwegs, bzw. biete mit meinem Blog ebenfalls eine Plattform des Austauschs und der Vernetzung an. Die Bedingung dafür lautet: Der Blog muss Kommentare ermöglichen. Sonst ist es kein Blog und es ist auch kein soziales Medium. Was mit Foren anfing, in thematischen Blogs sich fortsetzte und heute Instagram, TikTok und Facebook ist, erfüllt den großen Zwecke des menschlichen Daseins: Zusammen sein.

Ob man sich findet, so wie ich meine Cousine nach fast 40 Jahren auf Facebook, ob man gemeinsame Interessen teilt, oder einfach Inhalte konsumiert und sich dabei hoffentlich zusammen reißt und nicht anonym schlimme Dinge als Kommentar hinterläßt, Social Media und alle Plattformen können primär eines: Süchtig machen. Denn es sind kapitalistische Werkzeuge. Und ja, ich habe das sehr spät verstanden und ich bin schon längst so süchtig wie Elon Musk nach Ketamin. Wenn die Gerüchte stimmen. Schreibe ich jetzt auch nur, um nicht verklagt werden zu können.

Das mit der Sucht wissen wir alle und haben es sogar auf Social Media gelesen, welch’ Ironie! aber was ist mit Sehnsucht? Und natürlich den vielen Kleinigkeiten, die man dabei lernt? Educational Content, also Lerninhalte, befinden sich meiner Meinung nach eher im unteren Prozentbereich. Das ist eher eine Sache, wenn man gezielt danach sucht „wie bekomme ich Kugelschreiberflecken raus“ und das tut man in einer Suchmaschine.

Sehnsucht, oh!! Das ist ein weites Feld… ich nehme das aus meiner persönlichen Perspektive mal heraus, die Themen sind beliebig austauschbar. Ich konsumiere Schmuck und Mode, könnten genau so Autos und Hausbau sein, und weiß mittlerweile alles darüber, ob es das Ding an sich ist oder der kulturelle und betriebswirtschaftliche Kontext. Für mich ist das kein unnützes Wissen, aber ich gebe zu, dass mich der zur Schau gestellte Konsum nicht unbeeindruckt läßt. Eine Zeitlang habe ich mir gewünscht, diesem Konsum mal 100%ig zu frönen, und suchte Dinge aus, die auf meinem Wunschzettel landeten. Ich schaute Leuten zu, die sechsstellige Beträge am Leibe trugen, wie sie Dinge feierten, als wäre es Baby Jesus, die sie just in irgendeinem Geschäft erstanden haben, und hörte zu, welche vermeintliche Odyssee dahinter stand.

Hä??

Sehnsucht nach… Dopamin, das verstand ich, wenn auch auf den fortgeschrittenen Level. Sehnsucht wonach? Auf der einen Seite der Kamera nach Anerkennung, Sichtbarkeit und Ruhm – wenn man eh nicht wohin weiß mit dem Geld, auf der anderen Seite des Bildschirms, also auf meiner Seite: ???

Ich überlegte lange und stellte fest, neidisch bin ich schon mal nicht; wenn ich das Geld hätte, würde ich andere Dinge konsumieren, die Odyssee dahinter wäre das spannende, und sie wäre: Kreativ. Ich will eigentlich kreativ sein, und dafür braucht es heuer auch mal Geld, es sei denn, man hat die Fähigkeiten dazu, bestimmte Dinge selbst zu machen. Und dann dämmerte es mir: Geld ist ein Werkzeug. Werkzeuge verwenden kann man aber lernen! Kreativität ist Arbeit! Deswegen sind die Leute mit Geld so furchtbar langweilig, weil sie nicht kreativ sind, sondern sich aus dem immer gleichen Fundus von Dingen speisen, die sie immer gleich zusammen stellen. Zara für Multi-Millionäre: Hermès, Chanel, Bulgari, Rolex, und so weiter und so fort.

Social Media befriedigt in Zeiten, in denen wir zeitlich in der kapitalistischen Mühle hängen, unseren kreativen Outlet, für den wir keine Zeit haben. Kunst, Kultur, Handwerk, Sport – alles wofür wir keine Möglichkeiten haben, konsumieren wir aus zweiter Hand. Sehnsucht nach freier Zeit, Sehnsucht nach Kreativität, Sehnsucht nach gemeinsamen Räumen. Ich habe mich immer gefragt, wer denn tagsüber Zeit hat zu Kursen und zum Sport zu gehen. Manche Rentner*innen und Rentiers – das Wort gibt es übrigens nicht im Femininum. Ja, und wann sollen wir leben?

Unlustigerweise hat die Medaille stets zwei Seiten: Sie bedient eine Sehnsucht, und lässt gleichzeitig eine Sucht entstehen, die wiederum der tatsächlichen Realisierung der Sehnsucht im Wege steht. Ein Teufelskreis, dem wir zu bequem sind, zu entkommen. Und den ich auch mit füttere, denn ich stecke im Kapitalismus genauso fest. Meine Tätigkeit als Stilberaterin? Kreatives Outlet: Kunst am Körper des Kunden, Kund*in als Kunstwerk – nichts anderes. Betätige mich als maximal als Rahmenbauerin, wenn man es genau betrachtet. Aber auch das kann ein Kunstwerk unterstützen, oder: nicht.

Welche Sehnsucht treibt uns also beim Medienkonsum? Und wann ist das Dissoziieren vor dem Bildschirm zu viel? Wie geht man damit um?
Was steht hinter der Sehnsucht und wie kann man sie im Alltag unterbringen, die Erfüllung?
Welches „Hobby“ kann man erlernen? Wo sind die Zeiteinheiten dafür?
Wie läßt sich das mit Beruf und Familie vereinbaren, mit dem Kochen, Abwasch und der Waschmaschine?
Wann ist Zeit zum Dissoziieren und gibt es vielleicht bessere Formen als TikiToki und YouTube-Shorts – übrigens DIE Droge auf allen Plattformen, kurze Videos…

Kleiner Nachtrag zum Thema KI: Das ist sicherlich hier und da ein zeitsparendes Werkzeug, aber es ist am Ende auch eine Form der kapitalistischen Ablenkung. Es wird auch schon lange verwendet, und deswegen lohnt die Nachfrage, warum man es nun zur „freien“ Nutzung freigegeben hat… aber dazu ein andermal.

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