Porträt einer Frau

Das Inter-Netz. Schräger Ort, eine Virtu-Realität, die dank schräger Hobbys wie Schminke auch Menschen zusammen bringt. Ich lernte, nennen wir sie mal Andrea, ich lernte also Andrea über Twitter kennen. Oder über irgendeine Palette, auf die wie beide scharf waren. Wir tauschten fleißig Kosmetik aus, ein paar Pflegetipps, fanden heraus, dass wir gemeinsame Nicht-Bekannte aus dem Inter-Netz haben und trafen uns dann einfach mal. So weit die Genese einer Freundschaft.

Und da kommt sie. Groß, aber mehr durch Haltung und Absätze; kurze Haare und ein umwerfendes Lächeln. Kein Supermodel, aber stilsicher und sexy. Andrea trägt immer das gleiche – schwarzes Oberteil und Jeans. Klar sind es feine schwarze Shirts, die nicht alle gleich sind, aber fast. Stellen wir uns also ihren Kleiderschrank vor: Links die Sommershirts, recht die Winterpullover. Etwas weiter die Business-Kleidung, aber auch da: Zwei gute Hosenanzüge. Schwarz.
Etwas mehr Zeit verschwendet sie dann schon für ihr Make-up, aber das ist auch “fest”. Sie hat die perfekte Technik, gelegentlich mal andere Farben, sie ist jedoch am Ende des Tages eine durch und durch konsistente Erscheinung. Eine schöne Frau. Sie fällt nicht auf durch extravagante Looks, sondern durch sich selbst. Sie würde mir persönlich im vorbeigehen auch immer auffallen.

Was macht sie so? Sie arbeitet in einer Männerdomäne. Ich meine damit: Nur Männer. Und auch da nicht unbedingt die humorvollsten… Also nicht gerade in der Scherzartikelbranche. Sie ist eine One-Woman-Show: Sie verkauft, sie schult, sie erklärt, sie streichelt geplagte Egos, sie ist “sozialer Kitt”.
Und sie ist gut. Sie ist sogar unglaublich erfolgreich!

Als ich überlegte, was ich an ihr eigentlich so mag, fiel mir folgender Ausruf ein: “Sie ist verrückt!” Ja, ich sprach es sogar aus, voller Bewunderung: “Sie ist verrückt! Sie hat vor nichts Angst!”

Natürlich hat sie Ängste, sie ist ja ein Mensch. Ich zitiere sie dennoch hiermit: “…kein Opfer sein!”
Viel zu oft begeben wir uns Frauen gerne in die Opferrolle, darüber schrieb ich bereits in meinem kleinen Wutausbruch hier. Ich könnte, aber es geht nicht, ich würde, aber…

Diese Frau fährt alleine in den Urlaub und mietet sich ein Muscle Car. Fuck yeah! Weil sie es geil findet.
Sie lebt ihr Leben, sie liebt ihr Leben, sie räumt den Dingen aber auch ihren richtigen Stellenwert ein. Designer Tasche? Ja, aber eher genervt und als Mittel zum Zweck. Luxusdinner? Gerne, aber der Lieferservice tut es auch, wenn die Gesellschaft stimmt. Materielle Dinge? Klaro, geil, aber wohlwissend dass sie eben nur das sind: Material. Und keine Stoffe, aus dem Träume sind.

Aber sie ist verrückt, weil sie keine Angst hat.

Ist sie verrückt, weil sie keine Angst hat?

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Ein Auszug aus unseren Gesprächen…:

“Frauen werden häufig als zickig empfunden wenn sie kritisieren. Meist ärgert man sich ja auch, die Stimme geht hoch – schon schrillt es bei den Leuten: Zickenalarm. Gerade wenn man mit Männern zu tun hat, eine Katastrophe, frau ist sofort abgestempelt. Humor, das hilft. Witze machen.

Ich picke mir den stärksten aus der Gruppe aus und kaspere mit ihm und über ihn. Wohlwissend um seine Alpha-Position, kann der Mann das mit Humor nehmen und die Gruppe wird aufgewertet; es funktioniert in der Regel.

Ist eine Frau in der Runde, gilt es, sich mit ihr zu solidarisieren. Sonst gibt es ein unschönes, nicht immer subtiles Gemetzel.

Nichts ist übrigens einfacher als ein ehrlich gemeintes Kompliment. Gilt auch für Kerle, natürlich. Mit offenen Augen durch die Welt gehen und auch Dinge aussprechen – keine Angst! Was passiert schon wenn man jemanden sagt: Ihr Halstuch ist wunderschön! Sie sehen so frisch aus!
Jeder Mensch hat etwas besonderes… es darf keine Berechnung sein, es ist einfach nur Aufmerksamkeit.”

Wichtige Präsentation? Natürlich geht auch Andrea der Arsch auf Grundeis. Aber sie weiß, was sie kann. Sie lacht, sie ist albern, aber sie beherrscht ihr Metier und zeigt es auch. Was kann da schon passieren? Und was sie nicht kann, sagt sie sehr deutlich. Das ist auch wichtig – es spart Zeit und Nerven. Niemand ist allwissend, aber Rumgedruckse und “Äääääh…” sind nervig und unnötig. Klare Ansagen!

Was noch? Dieser Mensch ist ehrlich. Und herzlich. Sie ist unverstellt und lebt. Sie lebt den Augenblick, das zählt. Zu viele Sorgen wegen gestern und morgen? Gestern war, morgen kommt bestimmt. Hier und heute voll da sein. Sagen, was einem nicht gefällt – aber eben mit Humor. Sich selbst nicht so ernst nehmen – dafür immer den anderen.

Ich mag diese Andrea, weil ich sie als viel mutiger als mich selbst empfinde. Und weil ich sie mag, klar!
Ich lerne gerade jedoch auch das es okay ist, Ängste zu haben. Es ist nicht schlimm, man muss sie kennen und damit umgehen.
Ich mag Andrea, weil sie mir Mut macht, meinen Weg zu gehen und so zu sein, wie ich bin.
Ehrlich. (Aber nicht so keifig, ich weiß…)
Unangenehme Dinge müssen auch gesagt werden – jetzt weiß ich wie, und ich werde es versuchen.

Das Leben heute genießen und nicht zu viel an morgen denken, zumindest nicht, wenn es Sorgen sind, die frau sich gerne aufbauscht bis aus dem Ameisenhügel ein Mount Everest geworden ist.

Nicht so kompliziert sein. Lässiger.

Ein großes Stück der Unterhaltung ging übrigens auch darum, ob frau sich darum kümmert, was andere Leute sagen und denken. Tut Andrea nicht wirklich, und das macht sie stark. Rechtfertigen gegenüber dritten? Niemals. “Ich komme nicht.” Da ist ein Punkt dahinter.

Ihr kennt auch solche Leute, ich bin mir sicher. Unsere Andrea ist auch ein bisschen “the girl next door”, ein Leben mit Ecken und Kanten. Sie hat keinen Nobelpreis und bezeichnet sich selbst bestenfalls als “gewöhnlich”. Hier wird es dann doch ersichtlich, Andrea ist eine Frau wie du und ich und somit auch mit Minderwertigkeitskomplexen wegen – weswegen eigentlich…?

Lange Rede, unvollkommene Beschreibung. Andrea ist ein toller Mensch.
Wir kennen alle so jemanden, den wir auf Anhieb mögen, aber wann haben wir es ihm oder ihr zuletzt gesagt? Wann haben wir uns zuletzt Rat geholt und wann waren wir zuletzt ehrlich zu uns selbst? Wann haben wir uns zuletzt gefragt was wir HEUTE wollen? Nur heute…?

Ein Post Scriptum soll es heute auch wieder geben: Da Anna in unsere bescheidene Bude zu Besuch war, hat sie auch den kleinen Teddy kennengelernt. Der sofort, und ich meine sofort, die Arme ausstreckte und mit ihr schäckerte. Kinder erkennen gute Menschen.

Manchmal ist es so einfach: Sei.Gut.

10 Gedanken zu „Porträt einer Frau

  1. Du beschreibst meine beste Freundin. Nur dass sie dunkelblaue statt schwarzer Oberteile trägt. Sonst passt es wie Faust auf’s Auge:-). Toll geschrieben- sie muss den Artikel von dir unbedingt lesen…. Danke!

  2. Wow! Toller Artikel mit eindrucksvollen und detaillierten Beobachtungen und Wahrnehmungen und Beschreibungen einer (offensichtlich) tollen Frau! Und die Frau, die das alles so geschrieben hat, kann dann auch nur toll sein – denn anderes geht gar nicht, sonst hätte sie es nicht so geschrieben 😉 Chapeau!

  3. Wow, das hört sich nach einer tollen Frau an, beneidenswert! Und Du scheinst sie ja wirklich recht gern zu haben. Schön, wenn man so gute Freunde hat! Ich könnte mir an ihrem Selbstbewusstsein mal eine Scheibe abschneiden.

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