Wenn die Pandemie dreimal klingelt

…wie erwartet, kommt der zweite “Lockdown” sprich Einschränkungen des Alltags und es wird nicht das letzte Mal sein.
Und es erheben sich die Stimmen, es wird Protest geschrien, angeblich werden die Grundrechte mit den Füßen getreten, und “ganze Branchen werden ausgemerzt”.

Dummheit und Egoismus treten vor die Kamera. In Form von Musikern, Vollpromis und Waldorf-Ökos, Esoterikern und Wissenschaftlern. Ja, alle männlich.

Natürlich ist die Regierung nicht perfekt im Umgang mit der Pandemie, wofür es eigentlich auch Notfall-Pläne gäbe, weil es eine globale Krisensituation ist. Nein, ich finde es nicht sinnvoll, 9 Milliarden in die Lufthansa zu ballern und exakt Null in Schulen und Kindergärten. Und nein, die Mehrwertsteuersenkung hat nur den Reichen was gebracht, die entspannt shoppen konnten, während Lebensmittelpreise und Stromkosten ansteigen. Zumal die Senkung befristet ist. Und ja die Kulturbranche ist gefickt, das war sie aber auch schon vorher, weil sie eine Wasserkopfverwaltung hat, wo wenige sehr viel Geld verdienen und viele fast nichts, zudem sie sich auf die niedrig bezahlte Arbeit von überqualifizierten Idealisten ausruht.

Doch jammern tun in erster Linie die Privatpersonen, die einen sicheren Job haben oder gar relativ wohlhabend sind. “Ich kann nicht mehr essen gehen!” – ja Schätzchen, und mit Dir alle Hartz4 Empfängerinnen, Rentnerinnen und sonstigen Menschen, die am Existenzminimum leben. Die auch so keine Teilhabe am öffentlichen Leben haben, weil ein Museumsticket reduziert schon 8 Euro kostet, und davon muss man 2-3 Tage essen.

Okay, ich bin im Kommunismus Schrägstrich Sozialismus aufgewachsen-und es war so schlimm, dass die Leute irgendwann auf die Straße gegangen sind und den “Führer” erschossen haben. Weil es kein Strom gab, kein Warmwasser und nichts zu essen. Kinder wurden weggesperrt, Abtreibungen und Verhütungsmittel waren verboten, es gab keine Medikamente, kein Benzin und ein Auto konnte man eh nicht kaufen. Krebs war Todesgarant. Es gab keine Medien, keine Bücher, keine Zeitungen, keine Musik, außer man hatte illegale Radiosender. Es gab kein Klopapier und keine Zahnpasta, außer auf dem Schwarzmarkt! Und zu viert in eine Zwei-Zimmer-Wohnung leben war auch normal.

Und jetzt sollen wir zuhause sitzen, mit Netflix, mit Essen vom Lieferservice, und Du beschwerst Dich?! Während sich in Italien die Leichen türmten, in den USA die Leute einfach sterben dank politischer Machtgeilheit und in China die Leute einfach in ihren Wohnungen eingesperrt wurden, haben wir in Deutschland weiß Gott wenig zu klagen.

Was momentan nicht optimal läuft, lief auch vorher nicht*.

Wir haben die Mittel um diese Zeit zu gestalten, machen wir was draus! Ich werde eine Zoom-Party machen. Ich werde wieder öfter Telefonieren statt fix über WhatsApp zu schreiben. Meine Fitness-Matte ist schon geshoppt, und ein Springseil ersetzt das Nachts-im Dunkeln-Joggen. Ich werde schreiben und lesen, was bei mir zu kurz kam die letzten Jahre. Ich werde mich eincremen und vernünftig essen. Und ich werde auf dem Balkon singen und Weißwein trinken.

Wir sind immer noch handlungsfähig! Was ist das bitte für ein Luxus!

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*Deutschland versagt im Bildungssystem, ist ökonomisch zu stark fixiert auf Autoindustrie, und Digitalisierung hat man vor 20 Jahren verpennt. Zum Thema Umwelt: Greenwashing können wir, das war’s aber auch.

4 Gedanken zu „Wenn die Pandemie dreimal klingelt

  1. Liebe Andrea,
    wow, was für eine (ehrliche) Meinung! Ich kann dir absolut zustimmen, mir geht dieses Gejammer ganz furchtbar auf den Keks. Wir haben es, auch mit Lockdown light, so gut in Deutschland! Leider ist das kaum noch jemandem bewusst.
    Darf ich fragen, wo du aufgewachsen bist? Das klingt ja richtig heftig, kaum vorstellbar für jemanden, der in Deutschland geboren ist. Mit dieser Vorgeschichte muss das Ganze auf dich noch um ein Vielfaches krasser wirken.
    Hab einen schönen Freitag!
    Liebe Grüße, Andrea

    1. Liebe Andrea, ich heiße Andreea ausgesprochen Andreïa 😬 und das kommt aus Rumänien, wo ich volle Pulle bis zum 11. Lebensjahr das kommunistische Erfolgskonzept von Ceaușescu genießen konnte, inkl. besondere Aufmerksamkeit von der Securitate, dem Staatsdienst.
      Wäre vlt eine gute Hintergrundgeschichte für den Blog.

  2. Liebe Andreea, als eine der prekär bezahlten Kulturschaffenden, die nach langer Flaute im Dezember wieder einen Teilzeitjob haben wird, kann ich dir nur zustimmen. Corona hat jede einzelne Schwäche der Gesellschaft, in der wir leben, gnadenlos aufgedeckt. Und trotzdem- ich habe Verwandte in den USA, die sich kaum aus dem Haus trauen vor lauter Ansteckungsgefahr. Ich habe eine Schwester in der Schweiz, alleinerziehend, Hotelangestellte, die grade zum dritten Mal dieses Jahr unverschuldet ihren Job verloren hat. Ich habe Freunde in Spanien, sie monatelang in der kleinen Wohnung sitzen und sich auf dem Weg zum Supermarkt von der Militärpolizei kontrollieren lassen mussten.
    Ich habe zwar Angst vor möglicher Isolation, aber seit dem letzten Lockdown habe ich viel gelernt. Ich werde jetzt das Buch schreiben, vor dem ich mich seit einer Weile drücke, und generell das Beste draus machen. Du hast recht- wir sind handlungsfähig und haben Optionen, auch ohne Balkon, auch ohne Restaurant. Das ist verdammt viel wert.

    Oh, und ich wollte noch sagen: ich hätte großes Interesse, hier mehr über deinen Hintergrund zu lesen, falls das eine Option für dich sein sollte. Hat mich sehr berührt.

    1. Ufff!! Ja, alles gnadenlos aufgedeckt und ja, uns geht es echt gut. Lustigerweise habe ich das Buch, das Du schreiben willst, auch mal vorgehabt, wie so viele vermutlich, aber ich habe nicht gerafft dass es schon hier ist. Und dass es schon angefangen hat zu sein quasi. Deshalb habe ich tatsächlich das, was Du lustigerweise gerade erfragst, am SA angefangen.
      Muss sauber getippt werden und dann geht es seriell online.
      Wir sind Kulturschaffende, das hast Du schön gesagt. Und wir gehen neue Wege, das ist die Bestimmung von Kunst und Kultur.

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